(David Berger) Thomas von Aquin (1224-1274) gilt als der bedeutendste Denker des Mittelalters. Seine Philosophie und Theologie prägt die Kultur des jüdisch-christlichen Abendlandes bis heute. Während die meisten seine Person mit seiner italienischen Heimat und seinen universitären Triumphen in Paris verbinden, wissen viele – selbst Kölner – nicht, dass er auch Köln ein wenig seine Heimat nennen kann.
Während man mit Paris den Eifelturm verbindet, wird man im Hinblick auf Köln sofort an den Kölner Dom denken.
Und Thomas kommt just zu jenem Zeitpunkt in die Stadt am Rhein, als am 15. August, dem Fest Mariä Himmelfahrt des Jahres 1248, der Kölner Erzbischof Konrad von Hochstaden den Grundstein zu dieser Kathedrale legt. Man kann fest davon ausgehen, dass Thomas vom Aquino mit seinem Lehrer Albertus Magnus, der in einer seiner Schriften die Bauarbeiten ausdrücklich erwähnt, bei diesem Ereignis zugegen war.
Dies ist deshalb von besonderem Interesse, da die großen Summen der mittelalterlichen Theologen häufig mit der Idee der Kathedrale verglichen wurden. Obwohl dieser Vergleich spätestens seit den schweren Einwänden, die Heidegger gegen ihn erhob, nicht unumstritten ist, findet er dennoch bis zur Stunde immer wieder Freunde. [1]
Im Kölner Dom erinnert eine große Darstellung des hl. Thomas in einem der Domfenster an die Beziehung zwischen dem bedeutendsten Lehrer der Catholica und dem Hohen Dom zu Köln.
(Foto l. (c) Westerdam [CC BY-SA 4.0] Wikimedia)
Priesterweihe des Thomas von Aquin in Köln
Zwei Ereignisse stehen im Mittelpunkt des Kölnaufenthaltes des jungen Thomas:
Zum einen seine Priesterweihe, die sicher in jenem Zeitraum stattgefunden haben muss, über deren genauere Umstände wir jedoch keine Angaben besitzen. Seit dieser Zeit hat, wie die Biographen und auch die Zeitgenossen des Thomas berichten, die Zelebration der heiligen Messe und die Verehrung des Altarsakramentes eine zentrale Rolle im Leben des hl. Thomas gespielt.
Sein wichtigster Biograph Wilhelm von Tocco berichtet über den Aquinaten:
„Hauptsächlich aber verehrte er das allerheiligste Sakrament des Altars. Weil ihm vergönnt war, tiefsinniger darüber zu schreiben, so wurde ihm gewährt, es frommer zu feiern. Täglich las er eine Messe, wenn ihn nicht Krankheit hinderte, und als zweite hörte er die seines Gefährten …“ (Tocco 29).
Der stumme Ochse beginnt zu brüllen
Zum anderen sein „Beförderung“ vom Studenten zum Lehrer. Zunächst studiert Thomas, wie bereits in Paris, weiter bei Albert. (siehe Bild r. Holzschnitt Köln 1510)
Deutlich geprägt haben ihn dabei bezeichnenderweise die Vorlesungen seines Lehrers über das neuplatonische Werk De divinis nominibus des Dionysius Areopagita [2] und jene über die Nikomachische Ethik des Aristoteles. In Thomas’ eigenen Ethikkommentar hat der französische Thomasforscher Gauthier dann auch mehr als 350 Stellen ausfindig gemacht, die offensichtlich auf Alberts Vorlesungen zurückgehen. Bekannt ist, daß Thomas sich den Ethikkommentar Alberts in einer Art Zettelkasten angelegt hatte und die Karteikarten bei der Arbeit an eigenen Werken benützte.
In die Kölner Zeit gehört auch ein Ereignis, von dem Tocco berichtet und das sehr bezeichnend ist: Diejenigen, die Thomas persönlich kannten, berichten alle von seinem stattlichen Körperbau, zudem muß Thomas im alltäglichen Umgang auch sehr schweigsam gewesen sein. Beides führte dazu, daß die Kölner Kommilitonen ihn als „stummen sizilianischen Ochsen“ bezeichneten.
Als es Thomas dann gelang, innerhalb einer universitären Diskussion eine vorzügliche Antwort auf eine Frage Alberts zu geben, rief dieser aus:
„Wir heißen ihn einen stummen Ochsen, aber er wird mit seiner Lehre noch ein solches Brüllen von sich geben, daß es in der ganzen Welt ertönt.“ (Tocco 12).
Wie man die historische Qualität dieser Anekdote auch einschätzen mag, Albert war offensichtlich von den intellektuellen Qualitäten seines Schülers überzeugt: Noch während dieser seinen Studiengang absolvierte, machte er ihn zu seinem Assistenten (Bakkalaureus) am Kölner Generalstudium der Dominikaner, das die Anfänge der Universität zu Köln bildete, die noch heute den Namen Alberts trägt.
Thomasinstitut an der Universität zu Köln
Auch ein nach dem hl. Thomas benanntes Institut hält sich die Universität bis heute. In der Selbstvorstellung des Thomasinstituts heißt es:
„Die Schaffung eines Instituts für mittelalterliche Philosophie an der Universität zu Köln hängt eng mit der Einrichtung eines Lehrstuhls zusammen, der – mit Rücksicht auf die prominente scholastische Tradition dieser Stadt (Albertus Magnus wirkte hier als Lehrer an der dominikanischen Klosterschule, sein berühmtester Schüler und Namengeber des Instituts, Thomas von Aquin, hielt sich für mehrere Jahre zu Studienzwecken in Köln auf; Duns Scotus hat hier seine letzte Ruhestätte gefunden, und nicht zuletzt wurde die Stadt für mehrere Jahre Zeuge des gegen Meister Eckhart geführten Inquisitionsprozesses) – dem Studium der Philosophie des Mittelalters im Philosophischen Seminar eine institutionelle Heimat geben sollte.“
Thomas wird Dozent an der Kölner Universität
Ganz den damaligen Gepflogenheiten entsprechend wurde Thomas zunächst biblischer Bakkalaureus. In dieser Eigenschaft hatte er den Studenten den wörtlichen Sinn eines biblischen Textes cursorie, d.h. fortlaufend und überblickshaft, verständlich zu machen. In diesem Fall las Thomas über die Bücher Isaias und Jeremias sowie die Klagelieder.
(Bild: Thomas auf der Lehrkanzel, Holzschnitt Köln 1510)
Die Frucht dieser Vorlesungen bilden die zwei ersten theologischen Werke des Aquinaten (Expositio super Isaiam ad litteram und Super Ieremiam et Threnos). Neben der schon beschriebenen knappen wörtlichen Auslegung enthalten die beiden Schriftkommentare auch sogenannte collationes, Randnotizen, die spirituelle und pastorale Folgerungen aus den Texten ziehen.
Zwei Charakteristika der intellektuellen Persönlichkeit des Aquinaten werden bereits an diesen Randnotizen in den Erstlinkswerken deutlich: Zunächst die häufig übersehene, zentrale Rolle, die die Heilige Schrift für Thomas spielt. Bereits im erstgenannten Schriftkommentar findet sich eine schöne collatio zu Jesajas 48,17, die eine kleine Lobrede auf die Heilige Schrift darstellt: Diese erleuchtet – so Thomas – wunderbar den Geist, erfreut die Seele, entflammt das Herz und ist so die Grundlage für die Belehrung der anderen, damit sie, wie auch wir, durch die hl. Schrift die ewige Seligkeit erlangen.
In dieser Lobrede ist auch schon der zweite Aspekt enthalten: Die Erleuchtung des Theologen durch die Heilige Schrift will weitergegeben werden. Die in Theologie und Spiritualität gewonnene Einsicht verlangt nach ihrer pastoralen Umsetzung, besonders in der Predigt. Unübersehbar ist hier die dominikanische Losung des Contemplata aliis tradere (Das in der Kontemplation Erfahrene soll weitergeben werden!) zu erkennen, die zu aller erst in der Predigt der christlichen Wahrheit verwirklicht werden soll.
Abschied von Köln
1251 fragt Johannes von Wildeshausen bei Albert an, ob er einen jungen Theologen kennt, der geeignet ist, eine Bakkalaureusstelle in Paris zu übernehmen. Albert schlägt Thomas vor und trotz der Bedenken, die der Ordensgeneral wegen des jugendlichen Alters des Thomas hat, willigt er, gedrängt von Hugo von Saint-Cher [3], schließlich ein.
Zum Ende des Studienjahres 1251/52 verlässt Thomas Köln und seinen Lehrer Albert.
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[1] MARTIN HEIDEGGER, Gesamtausgabe, Bd. 42, 1987, S.48-54.
[2] (Pseudo-) Dionysius Areopagita, der sich im Anschluß an Apg 17,34 selbst als Paulusschüler ausgab, gehört bis zur Stunde zu den rätselhaftesten Gestalten der Geistesgeschichte. Er versuchte die neuplatonische Gottes- und Emanationslehre mit dem Christentum zu vereinigen. Thomas las den Areopagiten in der Übersetzung des Johannes Sarrazin.
[3] Kardinal Hugo von Saint Cher, O.P. , (+ 1263) war selbst von 1230 bis 1235 Professor in Paris gewesen. In die Theologiegeschichte ging er durch seine bibelexegetischen Kommentare und eine oft gedruckte aszetische Erklärung der Heiligen Messe ein.
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Der Text ist ein stark ergänztes Kapitel aus dem Buch des Verfassers: Thomas von Aquin – Leuchtturm des Abendlandes.